Vorträge

Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin

Digitaler Humanismus – Eine Ethik für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz

Möglicherweise wird man in einer fernen Zukunft auf die Menschheitsgeschichte zurückblicken und von drei großen disruptiven technologischen Innovationen sprechen. Der Übergang von der Jäger- und Sammlerkultur zur sesshaften Agrarkultur mit Ackerbau und Viehzucht in der Jungsteinzeit, der Übergang zum Maschinenzeitalter auf der Grundlage fossiler Energieträger im 19. Jahrhundert und schließlich die digitale Revolution des 21. Jahnhunderts: die Nutzung künstlicher Intelligenz. Sollte dies einmal so sein, dann stehen wir heute erst am Anfang einer technologischen Revolution, ähnlich wie Europa in den ersten Jahrzehnten des 19 Jahrhunderts. Und so wie damals sind die technologischen Erneuerungen auch heute von apokalyptischen Ängsten, aber auch euphorischen Erwartungen begleitet.

Der digitalen Humanismus setzt hier einen Kontrapunkt. Er setzt sich von den Apokalyptikern ab, weil er der menschlichen Vernunft vertraut und es setzt sich von den Euphorikern ab, weil er die Grenzen digitaler Technik achtet. Der digitale Humanismus transformiert den Menschen nicht in eine Maschine und interpretiert Maschinen nicht als Menschen. Er plädiert für eine instrumentelle Haltung gegenüber der Digitalisierung.

Der digitale Humanismus ist nicht defensiv, er möchte den technischen Fortschritt im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz nicht bremsen, sondern fördern, er spricht sich für eine Beschleunigung des menschlichen Fortschritts unter Einsatz der digitalen Möglichkeiten aus, um unser Leben reichhaltiger, effizienter und nachhaltiger zu machen. Er träumt nicht von einer ganz neuen, menschlichen Existenzform, wie die Transhumanisten, ist aber optimistisch, was die menschliche Gestaltungskraft der digitalen Potentiale angeht.

Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin
Ludwig-Maximilians-Universität München, Lehrstuhl für Philosophie und politische Theorie

studierte Philosophie, Physik, Mathematik und Politikwissenschaft in München und Tübingen. Für fünf Jahre (1998–2002) wechselte JNR in die Kulturpolitik, zunächst als Kulturreferent der Landeshauptstadt München und dann als Kulturstaatsminister im ersten Kabinett Schröder. 2002 übernahm er einen Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Göttingen. Seit 2004 lehrt er Philosophie und politische Theorie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 2016 wurde ihm die Europa-Medaille der Bayerischen Staatsregierung verliehen, 2019 erhielt er den Bayerischen Verdienstorden. Er leitet seit 2017 den Bereich Kultur des neu eingerichteten Zentrum Digitalisierung Bayern (ZD.B) und ist seit 2018 Gründungsmitglied des Direktoriums des Bayerischen Forschungszentrums für digitale Transformation (bidt). 2018 erschien bei Piper ein Plädoyer für einen Digitalen Humanismus.